|
Strafverteidigervereinigungen
Stellungnahme
zum
Diskussionsentwurf der Regierungskoalition und des
Bundesministeriums der Justiz zu einer
Reform des Strafverfahrens
I. Einleitung
Am 18. Februar 2004 wurde ein Diskussionsentwurf der Regierungsfraktionen
und des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Strafverfahrens
vorgelegt. Mit diesem Diskussionsentwurf soll die Diskussion einer
Reform des Strafverfahrens fortgeführt werden, die in den "Eckpunkten
einer Reform des Strafverfahrens" der Regierungskoalition vom
6. April 2001 begründet wurde. Einige Elemente der in dem "Eckpunktepapier"
vorgesehenen Gesamtreform wurden bereits in den Einzelregelungen
des Opferrechtsreformgesetzes und des Justizmodernisierungsgesetzes
(JuMoG) vorweggenommen. Die im nunmehr vorgelegten Diskussionsentwurf
aufgegriffenen Elemente der Reformüberlegungen sind im Wesentlichen
folgende:
-
Beteiligung der Verteidigung im Ermittlungsverfahren (II.) sowie
Transfer v. Vernehmungsprotokollen in die Hauptverhandlung (III.)
- Förderung eines transparenten Verfahrensstils (IV.)
- Regelung von Urteilsabsprachen (V.)
- "Optimierung" des Rechtsmittelverfahrens (VI.)
Daneben
sieht der Entwurf Änderungen in Teilbereichen der Strafprozessordnung
vor, wie bspw. zu Fragen der Bestellung eines Pflichtverteidigers
oder der Auswahl eines Sachverständigen im Ermittlungsverfahren
(VII.).
Die
Strafverteidigervereinigungen begrüßen, dass die Verfasser
des Diskussionsentwurfes seit langem erhobene Forderungen von Strafverteidigern
und Strafrechtsprofessoren wie z.B. nach erweiterter Beteiligung
der Verteidigung im Ermittlungsverfahren oder die Beteiligung an
der Auswahl von Sachverständigen aufnehmen und in das Reformkonzept
integrieren. Auch die im Diskussionsentwurf vorgesehen Neuerung,
dass das Gericht während der Hauptverhandlung den Verfahrensbeteiligten
seine vorläufige Bewertung von Rechts- und Sachfragen mitteilt,
geht auf eine alte Forderung der Strafverteidiger zurück. Der
Einbau kommunikativer Elemente in das Strafverfahren ist ein wesentlicher
Beitrag des gesamten Reformvorhabens.
Auch wenn die Strafverteidigervereinigungen viele der im Diskussionsentwurf
vorgesehenen Neuerungen unterstützen, ist darauf hinzuweisen,
dass bei einzelnen Regelungsvorschlägen noch Abstimmungsbedarf
besteht und andere Elemente des Reformvorhabens, wie z.B. der "Zwangstransfer",
aus grundsätzlichen Überlegungen ganz abzulehnen sind.
II.
Erweiterte Beteiligung im Ermittlungsverfahren
Der
Entwurf sieht vor, dass Strafverteidiger in stärkerem Umfang
als bisher an Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren beteiligt
werden sollen.
Künftig soll der Verteidiger Gelegenheit zur Mitwirkung an
polizeilichen Vernehmungen von Zeugen haben, die auf seiner Benennung
beruhen (§ 144 DE), und an Vernehmungen des Beschuldigten durch
die Polizei (§ 163 a Abs. 4 DE). Bei staatsanwaltschaftlichen
Vernehmungen von Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen
soll der Verteidiger ebenfalls Gelegenheit zur Mitwirkung bekommen
(§ 161 a Abs. 2 DE). Gleiches gilt für entsprechende richterliche
Vernehmungen (§ 168 c DE) einschließlich kommissarischer
Vernehmungen (§ 224 DE) sowie der richterlichen Einnahme des
Augenscheins (§ 168 d Abs.1 DE).
Darüber
hinaus soll den Beschuldigten Gelegenheit zur Mitwirkung an ermittlungsrichterlichen
Vernehmungen (§ 168 c Abs. 3 DE), kommissarischen Vernehmungen
durch das Gericht (§ 224 DE) und richterlichen Inaugenscheinnahmen
(§ 168 d Abs. 1 DE) gegeben werden.
Die
Strafverteidigervereinigungen begrüßen diese erweiterten
Beteiligungsrechte des Verteidigers und des Beschuldigten ausdrücklich
als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Allerdings
ist nicht zu übersehen, dass die Regelungsvorschläge des
Diskussionsentwurfes noch der Überarbeitung bedürfen (1.)
und weiter reichen sollten als im Diskussionsentwurf vorgesehen
(2.).
1.
(a) Zunächst bleibt unklar, was mit "Gelegenheit zur Mitwirkung"
gemeint ist. Aus der Begründung des Diskussionsentwurfs ergibt
sich, dass es sich um eine Rechtposition handelt, "die einem
Anspruch angenähert ist" [1] . Dort heißt es, das
Recht zur Teilnahme an Vernehmungen sei effektiv auszugestalten,
namentlich sei der Verteidiger vom Termin zu benachrichtigen und
bei nachvollziehbaren und gewichtigen Gründen auf eine Terminsverschiebung
einzugehen - dies allerdings mit der Einschränkung, dass trotz
Geltendmachung solcher nachvollziehbarer Gründe durch den Verteidiger
eine Vernehmung durchgeführt können werden soll, wenn
aus dem Verfahren heraus unabweisbare Gründe dafür sprechen.
Es leuchtet ein, dass die Verfasser des Diskussionsentwurfes die
weitere Ausgestaltung dieser Rücksichtnahmepflicht der Rechtsprechung
überlassen wollen. Nicht einleuchtend ist jedoch, dass auf
weitere Voraussetzungen der aktiven und effektiven Teilnahme an
einer Vernehmung nicht eingegangen wird. Es liegt auf der Hand,
dass eine aktive Beteiligung des Verteidigers, die einen späteren
Transfer der Vernehmung in der Hauptverhandlung rechtfertigen soll,
nur möglich ist, wenn ihm zuvor Gelegenheit zur Akteneinsicht
gegeben wurde, er also über den gleichen Wissensstand verfügen
kann wie die Staatsanwaltschaft, und wenn er zuvor Gelegenheit hatte,
seinen Mandanten zu sprechen und ihn als Informationsquelle auszuschöpfen.
Die Rechtsprechung des Bundsgerichtshofes zur Akteneinsicht des
Verteidigers bei Vernehmungen nach § 255 a StPO als Voraussetzung
des späteren Transfers in der Hauptverhandlung [2] lässt
befürchten, dass Waffengleichheit in diesem Sinne künftig
nicht Voraussetzung der Beteiligung an Vernehmungen sein soll. Das
wäre für eine Verteidigung, die diesen Namen zu Recht
führen soll, nicht akzeptabel.
(b)
Dass das Mitwirkungsrecht des Verteidigers sich auch auf staatsanwaltschaftliche
und richterliche Vernehmungen des Mitbeschuldigten erstrecken soll
ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings lässt
der Entwurf offen, ob der Begriff des Mitbeschuldigten nach formellen
oder materiellen Kriterien bestimmt werden soll. Bliebe es bei einer
formellen Bestimmung durch die Einheitlichkeit des Verfahrens, läge
es in der Hand der Staatsanwaltschaft, die Verbindung oder Trennung
von Ermittlungsverfahren und damit den Umfang der Anwesenheitsrechte
des Verteidigers für das gesamte weitere Strafverfahren zu
bestimmen.
(c)
Ebenfalls zu begrüßen ist, dass der Verteidiger künftig
Gelegenheit zur Mitwirkung an der polizeilichen Vernehmung von Zeugen
haben soll, sofern die Vernehmung auf seiner Benennung beruht. Was
mit "beruhen" gemeint ist lässt die Regelung des
Diskussionsentwurfes allerdings offen. Nach der Begründung
des Entwurfs bedeutet dies, dass die Benennung der betreffenden
Person durch den Verteidiger kausal für die Vernehmung sein,
es sich also um eine für das Ermittlungsverfahren "neue"
Person handeln muss. Andererseits sollte es nicht darauf ankommen,
wer einen Zeugen als erster benennt, sondern ausschließlich
auf die Kausalität. Dies dürfte unproblematisch sein in
Fällen, in denen ein Verteidiger einen den Ermittlungsbehörden
bis dahin nicht bekannten Zeugen nennt. Schwieriger stellt sich
das Verhältnis von Kausalität und "neuem" Zeugen
jedoch bereits dar, wenn ein Zeuge namentlich bekannt ist, aber
- aus welchen Gründen auch immer - noch nicht vernommen wurde.
Ein solcher Zeuge ist nicht mehr "neu" im Sinne der Entwurfsbegründung
und ob das Verlangen des Verteidigers, den Zeugen zu vernehmen,
dann als kausal für die Vernehmung zu bewerten ist, wird regelmäßig
schwer zu beurteilen sein. Auf die das subjektive Empfinden des
Staatsanwaltes kann es wohl kaum ankommen.
Diese
Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Begriffs des "Beruhens"
verweisen auf eine entscheidende Lücke in dem Reformvorhaben.
Woran es letztlich fehlt, ist ein Beweisantragsrecht des Verteidigers
mit einer korrespondierenden Bescheidungspflicht durch die Staatsanwaltschaft.
Gäbe es ein solches Beweisantragsrecht mit Bescheidungspflicht,
bliebe den Verfahrensbeteiligten die Erforschung der Kausalität
zu Zeugenvernehmungen erspart, wenn der Zeuge, dessen Vernehmung
die Staatsanwaltschaft entgegen dem Antrag der Verteidigung abgelehnt
hat, auch durch die Polizei nicht vernommen werden darf.
(d)
Schließlich lässt der Entwurf völlig offen, ob und
unter welchen Voraussetzungen bei einer Vielzahl dieser Partizipationsrechte
ein Verwertungsverbot eingreift, wie es bspw. für eine Verletzung
des § 168 c Abs. 5 StPO anerkannt ist [3] . Sollte ein Beweisverwertungsverbot
gerade im Fall des § 144 DE nicht greifen, würde der mit
dieser Vorschrift bezweckte Anreiz für die Verteidigung, ihre
Karten frühzeitig offen zu legen, konterkariert.
2.
Neben diesen eher im technischen Bereich liegenden Schwierigkeiten
bei der Ausgestaltung der Beteiligungsrechte der Verteidigung bestehen
auch grundsätzliche Einwände gegen den Ansatz des Entwurfes,
die Beteiligungsrechte der Verteidigung mit Ausnahme des §
144 DE auf staatsanwaltschaftliche und ermittlungsrichterliche Vernehmungen
zu beschränken:
(a)
Es sind - soweit ersichtlich - keine verlässlichen statistischen
Erhebungen dazu bekannt, welchen prozentualen Anteil die staatsanwaltschaftlichen
und richterlichen Vernehmungen an den Vernehmungen im Ermittlungsverfahren
insgesamt haben. Dies mag regional und in verschiedenen Verfahrensarten
variieren, doch dürfte der Anteil nach den Erfahrungen der
Praxis insgesamt kaum über zehn Prozent liegen. Der weitaus
größte Teil der Vernehmungen im Ermittlungsverfahren
wird nach wie vor von der Polizei durchgeführt. Daran zeigt
sich, dass die Reformvorschläge des Diskussionsentwurfs in
diesem Bereich keineswegs revolutionäre Kraft haben und deshalb
auch nicht zu einer tiefgreifenden Umwälzung des Ermittlungsverfahrens
führen werden, wie von Seiten der Strafverfolgungsbehörden
befürchtet wird.
Diese
Befürchtungen, die in der bisherigen Diskussion geäußert
wurden, dürften über dies zur Folge haben, dass künftig
der Anteil an staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Vernehmungen
von Zeugen im Ermittlungsverfahren weiter sinkt, weil es nahe liegt,
eine Vernehmung der Polizei zu überlassen, wenn eine Beteiligung
der Verteidigung nicht erwünscht ist. Dies wäre ein weiterer
Schritt zur Aushöhlung der Stellung der Staatsanwaltschaft
als Herrin des Ermittlungsverfahrens, die bereits durch die Änderung
des § 110 Abs. 1 durch das JuMoG begünstigt wurde. Letztlich
ist nach dem Konzept des Entwurfes zu befürchten, dass nicht
eine stärkere Beteiligung der Verteidigung bei Vernehmungen
im Ermittlungsverfahren, sondern eine weitere Schwächung der
Staatsanwaltschaft bewirkt wird.
(b)
Mit der Einräumung von Beteiligungsrechten bei staatsanwaltschaftlichen
und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen sowie in den Fällen
des § 144 DE beschreiten die Verfasser des Entwurfes den richtigen
Weg, greifen aber zu kurz.
Die
Strafverteidigervereinigungen haben sich von jeher für ein
umfassendes Beteiligungsrecht der Verteidigung im Ermittlungsverfahren
eingesetzt, das auch für polizeiliche Vernehmungen gilt. Hintergrund
dieser Forderung ist die mittlerweile zum Allgemeinplatz gewordene
Einsicht, dass im Ermittlungsverfahren die Weichen für die
weitere Entwicklung eines Strafverfahrens gestellt werden.
Nach
wie vor berechtigt erscheint daher die Klage, dass Hauptverhandlungen
vielfach nach dem Prinzip geführt werden, den Akteninhalt nachzuvollziehen.
Wahrnehmungspsychologische Studien haben wiederholt aufgezeigt,
dass es Verfahrensbeteiligten - auch Richtern - schwer fällt,
sich von einem einmal anhand des Aktenstudiums gewonnenen Bild des
Falles zu trennen (sog. Inertia-Effekt) [4] . Das zum Akteninhalt
geronnene Beweisergebnis des Ermittlungsverfahrens, das die richterliche
Vorstellung prägt, hingegen ist keineswegs von Objektivität
geprägt. Die von Rasch/Hinz in ihrem Aufsatz "Ermitteln
für den Tatbestand" [5] vermittelten Einsichten gelten
unverändert fort. Auch heute arbeiten Kriminalbeamte bei Vernehmungen
mit Ermittlungshypothesen, die ihre Wahrnehmung beschränken
und vielfach dazu führen, dass Vernehmungen unter einem einseitigen
Blickwinkel und mit geschlossenen Fragen durchgeführt werden.
Auch die Praxis der Protokollierung polizeilicher Vernehmungen führt
vielfach zu Auslassungen, Modifikationen und falschen Paraphrasierungen,
die die Aussage verzerren [6] . Auch die vernehmungspsycho-logisch
bedeutsame Zweiteilung der Vernehmung in Bericht und Verhör,
wie von § 69 StPO vorgeschrieben, wird vielfach nicht eingehalten.
Vernehmungsniederschriften lesen sich häufig nur als Verhör.
Der Bericht des Zeugen wird in das nicht dokumentierte und in der
StPO nicht vorgesehene Vorgespräch verlegt.
All
dies beeinträchtigt die Qualität der Ermittlungsergebnisse
erheblich. Abhilfe kann nur durch eine kontradiktorische Struktur
der Vernehmung geschaffen werden, bei der der Verteidiger Gelegenheit
hat, auf die Einhaltung der Vernehmungsvorschriften und die Protokollierung
zu achten.
Verteidiger,
die um diese Fehlerquellen polizeilicher Vernehmungsniederschriften
wissen und eine professionelle Skepsis gegenüber dem Ergebnis
polizeilicher Vernehmungen hegen, an denen sie nicht mitwirken konnten
und durften, sind deshalb in der Hauptverhandlung vielfach genötigt,
die Entstehungsgeschichte von Aussagen, die Vorgehensweise der Polizei
bei informellen Vorgesprächen etc. aufzuklären, wenn sie
den Verdacht hegen, dass die Ermittlungsergebnisse nur ein unvollständiges
Bild des Falles präsentieren. Diese Aufklärungsbemühungen
durch Befragen von Zeugen, Vernehmungsbeamten, Dolmetschern etc.
in der Hauptverhandlung führen häufig zu Verdruss auf
Seiten von Gericht und Staatsanwaltschaft und lassen den Verteidiger
vielfach zu Unrecht querulatorisch erscheinen.
Die
Forderung der Strafverteidigervereinigungen, im Ermittlungsverfahren
auch an polizeilichen Vernehmungen beteiligt zu sein, legitimiert
sich durch die Einsicht, dass die Wahrheit in Zeugenvernehmungen
vielfach eher durch eine kontradiktorische Befragung erreicht wird,
als durch eine einseitig von Ermittlungshypothesen geleitete Befragung.
Die Forderung nach Beteiligung an polizeilichen Vernehmungen verbindet
sich daher mit der Hoffnung, durch die Beteiligung an einer fairen
Beweisgewinnung mitwirken zu können und so die nachteiligen
psychologischen Effekte, die sich für den Beschuldigten aus
dem Aktenstudium durch die Richter ergeben, mildern zu können.
Damit verbindet sich die weitere Hoffnung, die Hauptverhandlung
zwar nicht von der Vernehmung von Zeugen, aber von der quälenden
und mitunter fruchtlosen Bemühung um Aufklärung der Aussageentstehung
zu entlasten.
(c) Eine Transparenz der Entstehungsgeschichte von Beeisergebnissen,
gewonnen durch eine umfassende Verteidigerbeteiligung, würde
auch dazu beitragen, einer Lösung des Problems der Legitimität
von Verfahrensabsprachen näher zu kommen. Die Kritik der Strafverteidiger
an der Praxis der Verfahrensabsprachen rührt zu einem nicht
unwesentlichen Teil daher, dass die den Absprachen vorangehenden
Prognosen über den Verfahrensausgang regelmäßig
anhand der Aktenlage gewonnenen werden und damit, aufgrund der vorbeschriebenen
psycho-logischen Effekte, auf einer zweifelhaften Grundlage Prognosen
zu Lasten des Beschuldigten ausfallen.
Ein Verteidiger, der sich ein eigenes Bild von der Qualität
von Beweisergebnissen machen kann, wird einen Mandanten auf soliderer
Grundlage zu vorgeschlagenen Verfahrensabsprachen raten können
und ihm unter Umständen sogar raten, solche Absprachen zu initiieren.
(d)
Die Strafverteidigervereinigungen sind sich darüber im klaren,
dass die von ihnen geforderte umfassende Beteiligung an Zeugenvernehmungen
im Ermittlungsverfahren auf erhebliche praktische Probleme stößt,
die einer weiteren Diskussion bedürften. Sofern eine umfassende
Beteiligung aus praktischen Gründen nicht möglich ist,
wäre auch daran zu denken, polizeiliche Vernehmungen im Ermittlungsverfahren
einschließlich der Vorgespräche auf Video oder Tonband
aufzuzeichnen oder Vernehmungen, an denen ein Verteidiger nicht
mitgewirkt hat, einem Verwertungsverbot zu unterwerfen sofern der
Beschuldigte oder sein Verteidiger dies beantragen.
Fazit:
Die Strafverteidigervereinigungen halten die im Diskussionsentwurf
vorgesehene erweiterte Beteiligung der Verteidigung an Vernehmungen
im Ermittlungsverfahren trotz zu befürchtender gegenläufiger
Effekte für einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung.
Zu wünschen bleibt allerdings, dass die Reformdiskussion damit
nicht ihr Ende findet, sondern mit dem Ziel einer noch weitergehenden
Beteiligung der Verteidigung im Ermittlungsverfahren weitergeführt
wird.
III.
Transfer von Vernehmungsprotokollen
Der
Diskussionsentwurf sieht vor, dass künftig Niederschriften
über Vernehmungen von Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten
(§ 251 Abs. 1 Nr. 2 DE) und des Beschuldigten in einer richterlichen
Vernehmung (§ 254 Abs. 1DE) an Stelle der Vernehmung der Beweisperson
in der Hauptverhandlung auf dem Wege des Urkundsverweises verlesen
werden können. Gleiches ist für Bild- und Tonaufzeichnungen
nach § 255 a Abs. 1 DE vorgesehen.
Damit
sieht der Diskussionsentwurf eine weitere Einschränkung des
Unmittelbarkeitsprinzips vor, indem die Vernehmung von Beweispersonen
in der Hauptverhandlung durch die Verlesung von Niederschriften
von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren ersetzt werden soll, an
denen der Verteidiger mitgewirkt hat. Die vernehmungsersetzende
Verlesung der Niederschriften ist nicht an die Zustimmung des Verteidigers
oder des Beschuldigten in der Hauptverhandlung gebunden, sondern
steht nach dem Konzept des Diskussionsentwurfs im Ermessen des Tatrichters,
der sich dabei maßgeblich an der Aufklärungspflicht zu
orientieren hat.
Aus
Diskussionen mit Vertretern des Bundesministeriums der Justiz und
der Bundesregierung ist deutlich geworden, dass der im Diskussionsentwurf
vor-gesehene "Zwangstransfer" bei Vernehmungen unter Beteiligung
des Verteidigers als Preis für die erweiterten Beteiligungsrechte
im Ermittlungsverfahren anzusehen ist. Weiter stehen hinter der
Möglichkeit des Zwangstransfers fiskalische Überlegungen
zur Verschlankung der Hauptverhandlung, mit der den Justizverwaltungen
der Länder die Zustimmung zu der erweiterten Beteiligung des
Verteidigers im Ermittlungsverfahrens nahegelegt werden soll. Das
Junktim zwischen erweiterter Beteiligung im Ermittlungsverfahren
und der Möglichkeit zum Zwangstransfer in der Hauptverhandlung
stellt sich daher nicht als eine sachlogische Notwendigkeit, sondern
als ein politisches und fiskalisches Kalkül der Entwurfsverfasser
dar.
Die Strafverteidigervereinigungen lehnen die im Diskussionsentwurf
vorgesehene Möglichkeit des Zwangstransfers ab. Der Zwangstransfer
lässt sich nicht schadlos in das Gesamtgefüge des Strafverfahrensrecht
einfügen und trifft auf grundsätzliche rechtspolitische
Bedenken.
1.
Art. 6 Abs. 3 d EMRK
Die
im Diskussionsentwurf vorgesehene Möglichkeit des Zwangstransfers
bei Beteiligung des Verteidigers an der Vernehmung eines Zeugen
im Ermittlungs-verfahren eröffnet die Möglichkeit, dass
ein Angeklagter aufgrund einer in der Hauptverhandlung verlesenen
Zeugenaussage verurteilt wird, obgleich der Angeklagte diesen Zeugen
niemals zu Gesicht bekommen und damit auch keine Gelegenheit hatte,
diesem Fragen zu stellen, wenn bei der Vernehmung des Zeugen im
Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft oder den Ermittlungsrichter
von den Vorschriften der §§ 168 c Abs. 3 S. 1 zweiter
Halbsatz, Abs. 3 S. 2 oder Abs. 4 DE Gebrauch gemacht wurde. Dies
ist mit Art. 6 Abs. 3 e der EMRK nicht zu vereinbaren, der dem Beschuldigten
das Recht einräumt, eigene Fragen an den Belastungszeugen zu
stellen. Zwar hat die Rechtsprechung diesem Anspruch des Beschuldigten
nicht uneingeschränkt zur Geltung verholfen. Allerdings hat
der Europäische Gerichtshof Anlass gesehen, darauf hinzuweisen,
dass nach Art. 6 Abs. 3 d EMRK dem Beschuldigten in der Regel zu
irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens die Gelegenheit gegeben werden
muss, einen gegen ihn aussagenden Zeugen zu befragen [7] .
Unter
den gegebenen Umständen steht zu befürchten, dass ein
Verteidiger von seinem Mitwirkungsrecht im Ermittlungsverfahren
schon deshalb nicht Gebrauch macht, weil er Vorwürfe seines
Mandanten befürchten muss, er habe durch die Mitwirkung das
eigene Fragerecht des Mandanten in der Hauptverhandlung vereitelt,
wenn das Gericht von der Möglichkeit zum Zwangstransfer Gebrauch
macht.
2.
Die gleiche Überlegung gilt im Falle des § 144 DE, wenn
der Verteidiger befürchten muss, seine Mitwirkung an der Vernehmung
eines von ihm benannten Zeugen im Ermittlungsverfahren könnte
dazu führen, dass sein Mandant in der späteren Hauptverhandlung
keine Gelegenheit mehr haben wird, eigene Fragen an den Zeugen zu
stellen. Ein Vertreter des Bundesministeriums der Justiz hat auf
dem 28. Strafverteidigertag 2004 in Karlsruhe darauf hingewiesen,
dass die Möglichkeit des Zwangstransfers nicht für Vernehmungen
nach § 144 DE gelten soll. Dies ist bisher allerdings weder
der Vorschrift des § 144 DE noch der Begründung des Diskussionsentwurfs
zu entnehmen.
3.
Es ist eine grundlegende und inzwischen vielfach bestätigte
Erkenntnis der Aussagepsychologie, dass ein wesentliches Kriterium
für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Aussage
in der Beständigkeit bei wiederholter Befragung der Beweisperson
liegt. Aus diesem Grund hat sich jedes Gutachten zur Glaubwürdigkeit
eines Zeugen mit einer sog. Konstanzanalyse zu befassen [8] , die
allerdings nur unter der Voraussetzung möglich ist, dass die
Beweisperson mehrfach vernommen wird. Dies gilt letztlich auch für
die tatrichterliche Beweiswürdigung in schwierigen Beweiskonstellationen
wie z.B. im Fall Aussage gegen Aussage [9] . In zahlreichen Entscheidungen
hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass der Tatrichter
in derart schwierigen Beweiskonstellationen eine besonders sorgfältige
Beweiswürdigung der Aussage des Belastungszeugen vornehmen
muss, die sich auch mit der Aussageentwicklung und mit Abweichungen
im Aussageinhalt zu befassen hat. Macht das Tatgericht von der Möglichkeit
des Zwangstransfers Gebrauch, so schmälert es zugleich die
Beurteilungsgrundlage für die spätere Beweiswürdigung.
Dem Angeklagten bliebe im Falle einer Revision als Angriffsmittel
gegen den vollzogenen Zwangstransfer einzig die Aufklärungsrüge,
bei der er nach der obergerichtlichen Rechtsprechung allerdings
genötigt ist, genau anzugeben, welches ihm günstige Ergebnis
die Vernehmung des Zeugen in Abweichung von der Vernehmungsniederschrift
erbracht hätte [10] . Der allgemeine Hinweis, die erneute Vernehmung
des Zeugen sei, schon um eine Konstanzanalyse zu ermöglichen,
nach den Erkenntnissen der Aussagepsychologie geboten gewesen, wird
den strengen Anforderungen der Rechtsprechung nicht gerecht. Da
es dem Angeklagten vielfach also nicht möglich sein wird, eine
Aufklärungsrüge zu erheben, die den Anforderungen des
§ 244 Abs. 2, 344 Abs. 2 StPO genügt ohne Behauptungen
ins Blaue hinein aufzustellen, ist er gegenüber dem Zwangstransfer
im Revisionsverfahren kaum geschützt.
4.
Unklar bleibt nach der Vorschrift des § 251 Abs. 1 Nr.2 DE,
welcher Verteidiger an der Vernehmung des Zeugen im Ermittlungsverfahren
mitgewirkt haben muss. So bleibt ungeklärt, ob es bereits ausreicht,
wenn der Verteidiger eines Mitbeschuldigten bei der Vernehmung anwesend
war oder ob der Verteidiger des Beschuldigten selbst an der Vernehmung
mitgewirkt haben muss. Fraglich ist entsprechend auch, ob die Vorschrift
anwendbar sein soll, wenn es zu einem Verteidigerwechsel gekommen
ist und der in der Hauptverhandlung anwesende Verteidiger nicht
derjenige war, der an der Vernehmung im Ermittlungs-verfahren mitgewirkt
hat. Offen bleibt letztlich, welche Bedeutung es hat, wenn der Angeklagte
in der Hauptverhandlung geltend macht, der an der Vernehmung mitwirkende
Verteidiger im Ermittlungsverfahren habe seine Mitwirkungsrechte
nur unzureichend ausgeübt oder ein Angeklagter mehrere Verteidiger
hat, aber nur einer von ihnen an der Vernehmung mitwirkte.
Diese
ungeklärten Fragen zeigen die Schwäche des Konzepts vom
Zwangstransfer auf, der die Bedeutung der Hauptverhandlung herabsetzt
und die Stellung des sich in ihr verteidigenden Angeklagten schwächt.
Die Mitwirkung eines Verteidigers im Ermittlungsverfahren kann keinen
Ausgleich dafür bilden. Sie wird entwertet, wenn sie nur um
diesen Preis zu erhalten ist. Die Einsicht in die Bedeutung des
Ermittlungsverfahrens für das gesamte Strafverfahren und die
daraus abgeleitete Forderung der Strafverteidigervereinigungen nach
Beteiligungsrechten im Ermittlungsverfahren, sind mit einem weiteren
Bedeutungsverlust der Hauptverhandlung nicht vereinbar. Vielmehr
muss es darum gehen, die schwache Verteidigungsposition des Beschuldigten
in diesem Verfahrensabschnitt zu stärken und die Transparenz
und Akzeptanz von Ermittlungsergebnissen für die Hauptverhandlung
zu erhöhen. Mit einer weiteren Auflösung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes
durch die Möglichkeit des Zwangstransfers hat dies nichts zu
tun. Das von den Verfassern des Diskussionsentwurfs hergestellte
Junktim zwischen Beteiligungsrechten im Ermittlungsverfahren einerseits,
der Möglichkeit des Zwangstransfers in der Hauptverhandlung
andererseits ist sachwidrig und im Hinblick auf die von den Entwurfsverfassern
gewünschte Beteiligung im Ermittlungsverfahren kontraproduktiv.
Denn jeder Verteidiger wird im Hinblick auf den drohenden Zwangstransfer
sorgfältig prüfen, ob er an einer Vernehmung teilnimmt
und gegebenenfalls davon absehen.
5.
Sofern die Möglichkeit des Zwangstransfers einer Entlastung
der Hauptverhandlung und damit auch der Kostenersparnis dienen soll,
ist zu bezweifeln, ob sie diesem Ziel wirklich dienlich ist. Vielmehr
werden durch den Zwangstransfer Konflikte in der Hauptverhandlung
vorprogrammiert. Ein Verteidiger, der entgegen § 251 Abs. 1
Nr. 2 DE die Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung erreichen
will, wird alle ihm zu Gebote stehenden Mittel dafür auszuschöpfen
wissen und bspw. entsprechende Anträge stellen, Zurückweisungsentscheidungen
gem. § 238 Abs. 2 StPO beanstanden, Beweisanträge stellen
und im Extremfall Befangenheitsgesuche anbringen. Auch an die Möglichkeit
der Selbstladung von Zeugen gem. § 220, 245 Abs. 2 StPO ist
zu denken. Schon im Hinblick auf die Vorbereitung einer Revision
wird sich der Verteidiger gezwungen sehen, alle prozessual vorgesehenen
Register zu ziehen. Von einer Entlastung der Hauptverhandlung kann
dann kaum mehr die Rede sein.
Dem
gegenüber ist nicht zu übersehen, dass die Mitwirkung
des Verteidigers im Ermittlungsverfahren für sich genommen
zu spürbarer Entlastung der Hauptverhandlung führen kann.
Zum einen, weil die mühselige Aufklärung der Entstehung
einer protokollierten Aussage entfällt, zum anderen, weil ein
Verteidiger, der an der Vernehmung eines Zeugen mitgewirkt hat,
sich ein Bild von der Person des Zeugen und der Qualität seiner
Aussage machen konnte und ihn dies dazu veranlassen kann, einer
Verlesung konsensual nach § 251 Abs. 2 StPO (oder § 251
Abs. 1 Nr. 1 DE) zuzustimmen, wenn er bspw. der Auffassung ist,
der durch die persönliche Vernehmung zu erwartende Eindruck
von dem Zeugen sei kein anderer, als der durch die Verlesung der
Vernehmungsniederschrift aus dem Ermittlungsverfahren. Nach geltendem
Recht kann ein Verteidiger vielfach nicht auf die Vernehmung belastender
Zeugen verzichten, weil er die Möglichkeit sieht, die Aussage
durch die eigene Befragung zu entkräften. Hat der Verteidiger
hingegen in Folge seiner Mitwirkung an der Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren
bereits den Eindruck gewonnen, an der Aussage des Zeugen nichts
richten zu können, wird er viel eher bereit sein, auf die Einvernahme
in der Hauptverhandlung zu verzichten.
Der Gesetzgeber sollte bei dem Bemühen, eine Entlastung in
der Hauptverhandlung zu erreichen besser auf die praktische Vernunft
der Verteidiger und der von ihnen beratenen Beschuldigten vertrauen,
als weitere autoritäre Instrumente wie den Zwangstransfer in
die Strafprozess einzufügen. Im Ganzen konterkariert das autoritäre
Element des Zwangstransfers das ansonsten von Bemühungen um
Transparenz und Konsens geprägte Reformvorhaben.
6.
Nicht richtig zu Ende gedacht erscheinen die Konsequenzen des Zwangstransfers
sofern er staatsanwaltschaftliche Vernehmungen betrifft. Die staatsanwaltschaftliche
Vernehmung von Zeugen steht nicht unter der Strafandrohung des §
153 oder 154 StGB. Damit entfällt zu Lasten des Angeklagten
der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 2 StPO, wenn sich später
erweist, dass der Zeuge die Unwahrheit gesagt hat. Der Zwangstransfer
von staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren
müsste deshalb auch eine entsprechende Änderung des Wiederaufnahmerechts
zugunsten des Beschuldigten zur Folge haben. Im übrigen müsste
das Fehlen der einen besonderen Anreiz zur wahrheitsgemäßen
Aussage bildenden Strafandrohung der §§ 153 ff StGB im
Fall des Zwangstransfers bei der Beweiswürdigung der verlesenen
Aussage berücksichtigt werden. Den Preis für die Verschlankung
der Hauptverhandlung durch Anwendung des Zwangstransfers hätte
der Tatrichter dann beim Absetzen der Urteilsgründe zu bezahlen.
Fazit:
Die Regelung des § 251 Abs. 1 Nr. 2 DE ist abzulehnen. Aus
denselben Gründen ist erst recht der durch das Zeugenschutzgesetz
vom 30.04.1998 in § 255a Abs. 2 StPO eingeführte Vernehmungsersatz
durch Vorspielen einer Vernehmungskonserve in der Hauptverhandlung,
wenn der Angeklagte und sein Verteidiger nur Gelegenheit zur Mitwirkung
hatten, wieder abzuschaffen.
IV.
Transparenz und Kommunikation
Wie
schon im Opferrechtsreformgesetz und im Justizmodernisierungsgesetz
zielt der Diskussionsentwurf darauf ab, die Gesprächsmöglichkeiten
zwischen den Verfahrensbeteiligten zu erweitern und dadurch eine
"neue Kommunikationskultur" im Strafverfahren zu verankern.
Für die Hauptverhandlung sieht der Diskussionsentwurf in §
243 Abs. 3 S. 5 DE vor, dass die Verteidigung nach Verlesung des
Anklagesatzes Gelegenheit zu einem sog. "Opening Statement"
erhält. Dieser Regelungsvorschlag wird von den Strafverteidigervereinigungen
uneingeschränkt begrüßt, denn nach geltendem Recht
hängt es vom Gutdünken des Gerichts ab, ob dem Verteidiger
eine solche Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird.
Nach
§ 257 b DE soll das Gericht in geeigneten Fällen in der
Hauptverhandlung den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten
erörtern dürfen (§ 257 b Abs. 1 DE). In Abs. 2 der
Vorschrift werden in rudimentärer Form die Voraussetzungen
einer Verfahrensabsprache geregelt. Das Gericht soll nach der Vorschrift
die Erörterung auf die vorläufige Beurteilung des Verfahrensergebnisses
erstrecken dürfen und mit Einverständnis des Angeklagten
eine Strafobergrenze angeben (§ 257 b Abs. 2 S. 1 & 2 DE).
Im Inhalt einer Verfahrensabsprache wird klargestellt, dass sie
nicht einen Rechtsmittelverzicht des Angeklagten zum Gegenstand
haben darf (§ 257 b Abs 2 S. 4 DE). Im übrigen ist nach
§ 273 Abs. 1 DE der wesentliche Inhalt und das Ergebnis einer
Erörterung nach § 257 b Abs. 2 DE im Hauptverhandlungsprotokoll
festzuhalten.
Die
Strafverteidigervereinigungen begrüßen grundsätzlich
das Anliegen des Diskussionsentwurfes, eine offene Kommunikation
in der Hauptverhandlung zu fördern und Verfahrensabsprachen
zu regeln. Allerdings ist der Regelungsvorschlag des Diskussionsentwurfes
in § 257 b DE in mancher Hinsicht problematisch:
1.
Bedenklich ist zunächst, dass die offene Kommunikation zwischen
den Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung und die Verfahrensabsprachen
in derselben Vorschrift geregelt werden. Dadurch entsteht der Eindruck,
offene Kommunikation sei nur vorbereitend und im Zusammenhang mit
einer Verfahrensabsprache zulässig. Das schränkt die offene
Kommunikation unnötig ein. Erörterungen zwischen Verfahrensbeteiligten,
die Rechtsfragen betreffen, oder auch die vorläufige Beurteilung
des Verfahrensergebnisses durch das Gericht stehen keineswegs notwendig
in Zusammenhang zu verfahrensbeendenden Absprachen. Sie können
vielmehr auch einem vom Gericht beabsichtigten Freispruch vorangehen.
Ziel der offenen Kommunikation ist allein, den Verfahrensbeteiligten
mitzuteilen, dass das Gericht zu erkennen gibt, wie es bestimmte
Rechtsfragen oder die Beweislage beurteilt. Die Verfahrensbeteiligten
erhalten dadurch Gelegenheit ihr weiteres Prozessverhalten auf die
mitgeteilten Ansichten einzustellen und dadurch den Verfahrensstoff
zu konzentrieren. Dies kann, ohne dass die Erörterung etwas
mit dem Verfahrensergebnis zu tun hat, einer Verkürzung der
Hauptverhandlung dienlich sein und damit zur Entlastung der Rechtspflege
beitragen. Aus diesem Grund sollten offene Kommunikation und Verfahrensabsprachen
in zwei verschiedenen Vorschriften geregelt werden.
2.
Hinsichtlich der offenen Kommunikation ist nicht einzusehen, warum
diese sich nicht auf eine Bekanntgabe der vorläufigen Beurteilung
des Verfahrensergebnisses durch das Gericht erstrecken sollte. §
257 b Abs. 2 S. 1 DE sollte daher an § 257 b Abs. 1 angefügt
werden.
So begrüßenswert offene Kommunikation im Strafverfahren
ist, darf nicht verkannt werden, dass die offene Kommunikation ein
gewisses Drohpotential gegen den Angeklagten enthält. Es sind
Fälle denkbar, in denen der Angeklagte kein Interesse an der
Offenlegung der vorläufigen Beurteilung der Sach- und Rechtslage
durch das Gericht hat, etwa weil für ihn nichts anderes in
Frage kommt als eine Freispruchsverteidigung. Aus diesem Grund sollte
das Einverständnis des Angeklagten nicht nur Voraussetzung
für die Angabe einer Strafobergrenze sondern auch zwingende
Voraussetzung für offene Kommunikation in diesem Sinne sein.
3.
Der Regelungsvorschlag des Diskussionsentwurfes für Verfahrensabsprachen
in § 257 b Abs. 2 DE ist außerordentlich knapp gefasst.
Es ist allerdings auch kaum zu erwarten, dass eine gesetzliche Regelung
das im Schatten der Rechtspraxis entwickelte Institut der Verfahrensabsprache
voll-ständig erfassen könnte. Zu begrüßen ist,
dass ein Rechtsmittelverzicht des Angeklagten nicht Teil einer verfahrensbeendenden
Absprache mehr sein darf. Ob dieses gesetzliche Verbot allerdings
Wirksamkeit entfaltet, darf bezweifelt werden. Die Regelung hätte
aller Voraussicht nach die Folge, dass der Rechtsmittelverzicht
nicht mehr als Teil einer Verfahrensabsprache protokolliert wird.
Dies verhindert jedoch nicht die informelle Absprache über
einen Rechtsmittelverzicht und die Ausübung von Druck auf den
Angeklagten, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären. Als vorbeugende,
solche informellen Nebenabsprachen keineswegs ausschließende
Maßnahme könnte darüber nachgedacht werden, den
Rechtsmittelverzicht des Angeklagten gänzlich oder jedenfalls
für den Tag der Urteilsverkündung abzuschaffen, um dem
Verurteilten eine nicht disponible Überlegungszeit einzuräumen.
Auch
die Verfasser des Diskussionsentwurfes dürften sich keiner
Illusion darüber hingeben, dass mit einer wie auch immer gearteten
gesetzlichen Regelung das grundlegende Problem des "Deals"
gelöst werden könnte. Eine höhere Akzeptanz des "Deals"
lässt sich über eine erweiterte Beteiligung der Verteidigung
im Ermittlungsverfahren erreichen, weil sie dazu führen kann,
die Ermittlungsergebnisse des Vorverfahrens transparenter zu machen,
die in starkem Umfang die Prognosebasis für Schuldspruch- und
Strafmaßeinschätzungen bilden.
Um
wenigstens den Versuch zu unternehmen, dem Ansetzen der berüchtigten
Sanktionenschere durch den Tatrichter beizukommen, sollte in §
273 StPO ausdrücklich klargestellt werden, dass zum protokollierungspflichtigen
Inhalt der Verfahrensabsprache nicht nur die letztlich abgesprochene
Strafobergrenze gehört, sondern auch die vom Gericht in Aussicht
gestellte alternative Strafe, wenn es nicht zu einer Verfahrensabsprache
kommt.
V.
Beiordnung eines Pflichtverteidigers
1.
Grundsätzlich zu begrüßen sind die Vorschläge
des Diskussionsentwurfes zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers.
Im Fall des § 117 Abs. 4 StPO soll künftig dem Beschuldigten
ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden, wenn gegen ihn Untersuchungshaft
vollzogen wird. Diese Neuregelung ist nachdrücklich zu begrüßen.
Allerdings sollte der Beschuldigte schon vor dem Vollzug der Untersuchungshaft,
nämlich schon bei seiner Vorführung vor dem Haftrichter
das Recht haben, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu beantragen,
damit er sich schon bei der Verteidigung gegen den Erlass des Haftbefehls
eines sachkundigen Beistandes bedienen kann. Angesichts der inzwischen
in nahezu allen Bundesländern bestehenden anwaltlichen Notdienste
dürfte eine entsprechende Vorverlegung des Antragsrechts des
Beschuldigten auch kaum auf organisatorische Schwierigkeiten stoßen.
Weiter
sollte klar gestellt werden, dass dem zur Vorführung erschienen
Verteidiger Akteneinsicht in die für die Haftentscheidung bedeutsamen
Aktenteile zu gewähren ist. Nur auf diese Weise ist eine effektive
Verteidigung gegen den drohenden Haftbefehl möglich [11] .
2.
Auch die in § 141 Abs. 3 DE vorgesehene Neuregelung zur frühzeitigen
Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren wird
von den Strafverteidigervereinigungen grundsätzlich begrüßt.
Im Einzelnen begegnet die vor-geschlagene Regelung jedoch Bedenken:
Redaktionell bedenklich ist, dass § 141 Abs. 3 DE keine Regelung
dazu enthält, in welcher Weise das Gericht auf einen entsprechenden
Antrag des Beschuldigten und seines gesetzlichen Vertreters zu reagieren
hat. Als Entscheidungsoption wird im § 141 Abs. 3 S. 3 DE allein
die Verteidigerbestellung "auf Antrag der Staatsanwaltschaft"
geregelt.
Redaktioneller
Abstimmungsbedarf besteht zudem zwischen dieser neugefassten Regelung
und der Kompetenznorm des § 141 Abs. 4 StPO. Entweder entscheidet
in allen Fällen das Gericht oder aber sein Vorsitzender.
Die
Belehrungsvorschrift des § 136 Abs. 1 S. 3 DE ist zudem missverständlich
abgefasst, wenn das Entstehen der Belehrungspflicht über das
Antragsrecht nach § 141 Abs. 3 S. 2 DE gleichsam zusätzlich
davon abhängig gemacht wird, dass die Mitwirkungsnotwendigkeit
eines Verteidigers abzusehen ist. Gegenstand der unbedingten Belehrungspflicht
können nur die Beiordnungsvoraussetzungen des § 141 Abs.
3 S. 1 DE sein.
Abzulehnen
ist weiter die Befugnis der Staatsanwaltschaft, im Einvernehmen
des Beschuldigten einen Verteidiger beizuordnen (§ 141 Abs.
3 S. 4). Das ergibt sich ohne weiteres aus der Erwägung der
Entwurfsbegründung, die entsprechende Beiordnungsbefugnis der
Staatsanwaltschaft erstrecke sich auch auf den Fall, "dass
die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten, der mangels eigener ent-sprechender
Personenkenntnis keinen Verteidiger benennen kann, einen Verteidiger
vorschlägt und der Beschuldigte diesen akzeptiert" [12]
. Dies gilt umso mehr, als die Vorschriften über den Zwangstransfer
im Ermittlungsverfahren gewonnener Beweisergebnisse in das Hauptverfahren
an die Mitwirkung "eines" Verteidigers gebunden ist. Vorzugswürdig
wäre insoweit eine diesbezügliche Kompetenz des Ermittlungsrichters.
Der Diskussionsentwurf verhält sich auch nicht zu der Frage,
welche Konsequenzen aus BGHSt 47, 172/178 zu ziehen sind. Die Beiordnungspflicht,
auf die der Entwurf im Anschluss auf BGHSt 46, 92 abhebt [13] liefe
leer, wenn die Beiordnung erst zu einem Zeitpunkt erfolgen würde,
zu dem bspw. die erste Beschuldigtenvernehmung abgeschlossen wäre.
VI.
Änderungen des Rechtsmittelrechts
Unterschiedlich
zu beurteilen sind die rechtsmittelrechtlichen Vorstellungen des
Diskussionsentwurfes.
Die
vorgesehene Streichung der Annahmeberufung ist zu begrüßen.
Damit wird entsprechend den Forderungen der Strafverteidigervereinigungen
ein Fremdkörper aus dem Berufungsrecht des Strafverfahrens
entfernt. Allerdings wird dieser gesetzgeberische Missgriff durch
einen neuen Missgriff der Entwurfsverfasser zumindest kompensiert,
nämlich die Einführung einer Berufungsbegründungspflicht.
Der Regelungsgehalt des § 317 S. 2 DE ist handwerklich unsauber
umschrieben. Keinem Verfahrensbeteiligten, erst recht nicht dem
unverteidigten Angeklagten, wird verdeutlicht, welche Ausführungen
notwendig sind, um der Konsequenz des § 319 Abs. 1 DE zu entgehen.
Dass die einwöchige (!) Begründungsfrist nicht verlängerbar
ist, würde eine Vielzahl von Wiedereinsetzungsgesuchen auslösen
und verkennt zudem die Situation der Verteidigung zu Beginn der
Berufungsinstanz (häufiger Verteidigerwechsel, Analyse des
Hauptverhandlungsprotokolls erster Instanz, Feststellung der Verteidigungslinie
mit dem Angeklagten). Darüber hinaus programmiert die Neuregelung
- erst recht vor dem Hintergrund der als diesbezüglicher Anreiz
verstandenen Erweiterung der Belehrung gemäß § 35
a S. 1 StPO - Probleme der - durch vorzeitige Rechtsmittelbeschränkungen
verursachten - Teilrechtskraft vor [14] . Ein praktisches Bedürfnis
für eine derartige "Kurzbegründung" besteht
im Übrigen schon deshalb nicht, weil jedenfalls dem Hauptverhandlungsprotokoll
erster Instanz die Stoßrichtung der bisherigen Verteidigungslinie
des Berufungsführers zu entnehmen ist.
Damit
erledigt sich zugleich die Regelung des § 344 Abs. 2 S. 3 DE,
deren Sinn in Ermangelung einer Sanktionierung erst recht nicht
nachvollziehbar ist. Soweit der Diskussionsentwurf schließlich
grundsätzlich eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist
vorsieht, ist der von ihm gewählte Weg einer Ermessensentscheidung
des Vorsitzenden des Tatgerichts, dessen Urteil mit der Revision
angefochten wird, nicht gangbar: Der Diskussionsentwurf schweigt
zu den inhaltlichen Anforderungen an die Antragsbegründung,
den Kriterien der Entscheidung des Vorsitzenden, dem Zeitpunkt und
der Form seiner Entscheidung sowie den Konsequenzen eines Unterbleibens
der Entscheidung bzw. einer nur teilweisen Fristverlängerung.
Verhaltenssicherheit für alle Verfahrensbeteiligte wäre
nur dann zu erlangen, wenn die Revisionsbegründungsfrist abstrakt
- wie auch immer - an § 275 Abs. 1 S. 2 StPO angelehnt würde.
VII. Sonstige Regelungen des Diskussionsentwurfes
Im
übrigen enthält der Entwurf eine Reihe von einzelnen Regelungen,
die teilweise auch auf alte Forderungen der Strafverteidiger zurückgehen
und die von den Strafverteidigervereinigungen ausdrücklich
begrüßt werden.
1.
Zu begrüßen ist die Streichung des § 138 a Abs.
2 StPO und die Abmilderung des § 148 Abs. 2 S. 3 StPO, auch
wenn die Aufrechterhaltung der Möglichkeit einer Trennvorrichtung
im Gespräch zwischen Verteidiger und Beschuldigtem einen schwer
erträglichen Eingriff in das Vertrauensverhältnis des
Verteidigers zu seinem Mandanten darstellt.
Immerhin würde die Neufassung des § 148 Abs. 2 S. 3 StPO
den Gerichten eine flexiblere und den Umständen des Einzelfalls
gerecht werdende Handhabung der Vorschrift ermöglichen.
2.
§ 73 Abs. 3 S. 1 DE
Ausdrücklich zu begrüßen ist auch die vorgeschlagene
Neuregelung zur Bestellung eines Sachverständigen im Ermittlungsverfahren.
Soweit § 73 Abs. 3 S. 1 DE dem Verteidiger die Gelegenheit
zur Stellungnahme "vor der Auswahl eines Sachverständigen"
einräumt, ist zu besorgen, dass sich an dem Rechtszustand unter
Geltung der Nummer 70 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeld-verfahren
wenig ändern wird, zumal solange ein Verstoß gegen eine
derartige Partizipationsnorm nicht - z.B. revisionsrechtlich - sanktioniert
wird [15] . Soweit man nicht analog § 142 Abs. 1 S. 3 StPO
ein entsprechendes Vorschlagsrecht des Verteidigers einführte,
wäre sicherzustellen, dass die Entscheidung dem Richter - sei
es dem Ermittlungsrichter, sei es (vorzugswürdig) dem Vorsitzenden
des in der Hauptsache zuständigen Gerichts - obliegt. Jedenfalls
nicht hinnehmbar ist die Regelung des Diskussionsentwurfes, die
insoweit nicht nur nichts an der Entscheidungskompetenz der Staatsanwaltschaft
änderte, sondern nicht einmal im Fall des fehlenden Einvernehmens
zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft die Möglichkeit
einer rechtzeitigen gerichtlichen Überprüfung vorsieht.
Beweisantragsrechtlich
müsste diese Regelung durch eine Ausnahme von § 244 Abs.
4 StPO in dem Sinne abgesichert werden, dass die Regelung, Anträge
auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen unter erleichterten
Voraussetzungen ablehnen zu können, dann nicht anzuwenden wären,
wenn der Tatrichter einen ohne Beteiligung der Verteidigung beauftragten
Sach-verständigen gehört hatte.
3.
§ 131 c Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 S. 1 StPO
Die Einschränkung der Anordnungskompetenz in § 131 c Abs.
1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 StPO würde eine Selbstkorrektur der
rot-grünen Bundesregierung darstellen und wäre aus Verteidigersicht
zu begrüßen.
4.
§ 76 GVG
Die Neufassung des § 76 GVG begegnet insbesondere hinsichtlich
der geänderten Besetzung der Kleinen Strafkammer keinen Bedenken.
|